Zum Transgender Day of Remembrance in Bremerhaven 2020 stellen wir möglichst viele Redebeiträge online, damit sie auch durchgelesen werden können und langfristig zur öffentlichen Diskussion beitragen.
Hier folgt der Redebeitrag von Julia Steenken, Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität dgti e. V.
Wir gedenken,
wir trauern.
Aber wir sind auch wütend.
Seit dem letzten Tag des Erinnerns sind mehr als 350 unserer Geschwister unnötig und mitunter brutal um ihr Leben gebracht worden. Wir wissen nur von diesen, es waren mehr.
Wir denken auch an die die nicht mehr unter uns sind weil sie dem Druck und die Anfeindungen ihres Umfeldes, ihrer Familie und ihrer Gesellschaft nicht mehr stand hielten. Sie ertrugen es nicht mehr ausgegrenzt, ihrer Würde und ihres Lebensrechtes beraubt zu werden. Wie verzweifelt muss ein Mensch sein um nur noch den Weg in den Tod als einzig gangbar zu sehen. Bei ihnen bitten wir um Vergebung und um Verzeihung. Wir haben bei ihnen versagt, denn wir haben nicht geholfen, wir waren nicht für sie da.
Aber ihr Vermächtnis ist unser aller Verpflichtung und Auftrag. Lassen wir ihre Namen nicht in Vergessenheit geraten. Nennen wir sie, ehren wir sie durch unseren Anstrengungen in ihrem Namen. Jeder Name schreit uns an: Nie wieder.
Die Täter dürfen nicht triumphieren.
Kehren wir unsere zeitweise Agonie um. Hören wir den Ruf unserer ermordeten Geschwister und machen wir unseren Schmerz und Verzweiflung zu dem der Täter.
Nennen wir die Täter, zeigen wir ihr hässliches Gesicht, grenzen wir sie aus unserer Gesellschaft aus.
Denn auch wir sind Menschen, Menschen mit Würde und Rechten.
Unsere geäußerte Geschlechtszugehörigkeit ist real. Sie ist echt und sie bereichert uns und somit unsere Gesellschaft.
Wir wollen weder Sonderrechte noch wollen wir anderen schaden. Wir nehmen auch niemanden irgendetwas weg.
Wir wollen einzig und alleine leben.
Leben ohne Angst und Sorgen. Leben ohne uns erklären und rechtfertigen zu müssen.
Wir wollen als das anerkannt werden was wir sind:
Menschen wie du, ich und alle anderen.
Ohne Ansehen der Person, der Herkunft und des sozialen, gesellschaftlichen Status.
Denn wir sind viele, mehr als man denkt und wie wir kennen.
Wir waren schon immer da und es wird uns auch immer noch geben, wenn unser aller Namen nur noch in der Erinnerung der nach uns kommenden Generationen fortleben.
Aber wir sind auch die Generation die aufgerufen ist den Hass und das Morden zu beenden.
Hier und heute.
Dulden wir nicht mehr herabwürdigende Anfeindungen, Handlungen und Taten.
Fordern wir unsere Rechte ein, widersprechen wir und kämpfen für und um uns alle.
Diesen Kampf können, dürfen und wollen wir nicht alleine bestreiten.
Seien wir solidarisch mit uns wohlwollenden Menschen. Aber fordern wir diese Solidarität auch ein.
Lassen wir es nicht soweit kommen das jemand zu Tode kommt.
Schauen wir nicht weg.
Schauen wir nicht weg wenn mitten in Frankfurt eine von uns beleidigt, angefeindet und dann zusammengeschlagen wurde.
Seien wir nicht mit den über 150 Zuschauern die nicht einschritten und statt dessen lieber gaffende Videos gemacht haben.
Wir müssen auch hier unsere Lethargie überwinden und einschreiten.
Dulden wir nicht länger das Zusehen.
Dulden wir nicht mehr das weder Polizei noch Staatsanwaltschaft die waren Motive unerwähnt lässt.
Fordern wir die Benennung und Verfolgung als das ein was es ist: ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, geboren aus Vorurteilen und Hass. Denn durch Unsichtbar machen und verharmlosendes Wegsehen wird es nicht verschwinden sondern aufblühen und sich fortpflanzen und vermehren. Die Täter handeln heimtückisch und aus niederen Beweggründen.
Dulden wir keine Opfer-Täter Umkehr.
Niemand ist dran schuld belästigt, geschlagen und misshandelt zu werden.
Weder in der Schule noch auf der Arbeit, im öffentlichen Raum oder in der Familie.
Seien wir für die Familie die keine eigene mehr haben.
Treten wir alle als die Familie geeint denen entgegen die uns als Gefahr für Gesellschaft und Teile der Bevölkerung sehen und darstellen wollen.
Lassen wir sie spüren das ihr Hass und Ansichten aus der Zeit gefallen sind und nicht obsiegen werden.
Aber denken wir auch an unsere Geschwister im Ausland und seien wir auch ihre Familie.
Zeigen wir ihnen das sie bei uns Gehör, Unterstützung in ihrem Kampf und Zuflucht finden werden.
Machen wir ihre Stimmen zu unseren Stimmen.
Seien wir ihr Hintergrundchor und tragen wir ihre Forderungen durch unsere Kanäle an ihre Herrschenden heran.
Fordern wir ihre Rechte als unsere Forderungen bei unsere Mächtigen ein.
Wir gedenken,
wir trauern,
wir sind wütend.
Aber aus unserer Wut erwächst unser Kraft.
Die Kraft die berufen ist das wir Raum und Luft zum selbstbewussten und selbstbestimmten Leben schaffen und bewahren.
Die Kraft die berufen ist unsere Rechte einzufordern.
Die Kraft die uns befähigt für uns und unsere Gesellschaft einzutreten und da zu sein.
Wir sind eine Familie.
Geschwister einer Familie in der man für einander da ist.
Wir sind die, die verhindern können das aus Unwissenheit Vorurteile werden.
Wir sind die, die verhindern können das aus Vorurteilen Gedanken werden.
Wir sind die, die verhindern können das aus Gedanken Worte werden.
Wir sind die, die verhindern können das aus Worten Taten werden,
Wir sind die, die verhindern können das aus Unwissenheit Tote werden.
Wir machen den Unterschied zwischen können und dem Tatsache gewordenen Sein.
Wir sind unduldsam,
wir fordern ein,
wir handeln.
Wir waren, wir sind und wir werden.
Immer ein durch das Schicksal und dem nach evolutionärer Vielfalt der schöpferischen Natur emporgewachsenen Gemeinschaft besonderer Menschen.
In uns leben die die heute nicht mehr unter und mit uns seienden fort.
Ihr Schicksal und Opfer sein uns Verpflichtung und Ansporn
Ich danke für die Aufmerksamkeit.