Schriftzug 'CSD Bremen trotz Corona' auf einem Bild von der Demo

Corona, Christopher Street Days und Evangelikale: Warum unser CSD trotz der Corona Pandemie richtig und wichtig war. // Ein Essay.


Trotz Corona-Pandemie fand in Bremen auch in diesem Jahr wieder ein Christopher Street Day (CSD) statt. In anderen Städten hingegen wurden Christopher Street Days abgesagt oder in einer noch kleineren Form durchgeführt. Ist es wirklich notwendig und verantwortlich im Hinblick auf die realen Gefahren des Corona-Virus eine so große Veranstaltung, eine Party, mit so viele Leuten durchzuführen?

Nun ja, zuerst einmal ist ein Christoper Street Day keine Veranstaltung oder Party, sondern eine Demonstration. Ein Christopher Street Day kommt zwar in der Regel fröhlich, bunt und teilweise etwas zu schrill daher, aber der Hintergrund dieser Versammlung ist nicht Spaß zu haben oder vielleicht bereits erreichte Erfolge zu feiern, sondern immer wieder auch darauf hinzuweisen, dass nach wie vor eklatante Benachteiligungen für LGBTQI-Menschen bestehen (vgl. unsere Forderungen).

Die Frage, ob wir im Hinblick auf Corona nicht vielleicht ein Jahr Pause hätten machen sollen, ist zwar naheliegend, verkennt aber, dass das Corona-Virus nicht die einzig existierende Gefahr für Leib und Leben ist. Auch Diskriminierung, Mobbing oder religiös begründete Ablehnung von Menschen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung und Identität ist eine Gefahr für Leib und Leben. Diese Gefahren verschwinden nicht einfach, nur weil gerade das Corona-Virus omnipräsent ist. Es gilt also zwei Gefahren gegeneinander abzuwägen.

Auch durch Corona werden gerade LGBTQI-Menschen in eine vielfach schwierige Ausnahmesituation katapultiert. Neben den uns alle betreffenden Auswirkungen auf Beruf und Freizeit wurden gerade in der Phase des Lock-Downs, mit Regelungen die sich schwerpunktmäßig an der klassischen Familie orientierten, Menschen benachteiligt, deren Leben sich eben nicht in einer klassischen Familie abspielt. Es wurden Kontaktmöglichkeiten abgeschnitten und Freundeskreise, die durchaus auch die Funktion einer Familie haben, voneinander getrennt.

Auch vor dem Hintergrund, dass sich aktuell viele Menschen vor einer „zweiten Corona-Welle“ fürchten, war eine Absage des Christopher Street Days keine Option. Die Frage, die sich aus einer anderen Abwägung stellen würde, ist, wie lange das Eintreten für die Rechte von LGBTQI-Menschen warten kann. Ein Ende der Corona-Pandemie ist trotz des Hoffnungsschimmers auf einen Impfstoff nicht abzusehen. Wer weiß schon, ob die Impfstoffe wirken und in ausreichenden Mengen schnell genug produziert werden können? Wer kann sagen, ob die Corona-Pandemie im nächsten Jahr beendet ist?

Es gilt, gerade für so wichtige Themen wie den Einsatz für Freiheit, Toleranz, Akzeptanz und Sichtbarkeit, Wege zu finden, um mit dem Virus zu leben, ohne die damit verbundenen Gefahren aus den Augen zu verlieren. Durch verantwortungsvolles Handeln jedes Einzelnen muss es möglich sein auch jetzt hierfür einzutreten.

Der Fall Latzel

Dass der Kampf für Freiheit und Akzeptanz und das Schaffen von Sichtbarkeit gerade hier in Bremen notwendig ist, hat unter anderem das Bekanntwerden der Auslassungen des Pastor Latzel in seinem Eheseminar gezeigt (vgl. unseren Strafantrag). Dabei sind nicht mal die, nun durch das Gericht zu beurteilenden Aussagen1 des Pastors die problematischsten, sondern vielmehr das zugrunde liegende Weltbild evangelikaler Christen.

Pastor Latzel negiert mit Bezug auf die Bibel die Tatsache, dass es eben nicht nur eine Zweigeschlechtlichkeit als männlich oder weiblich gibt. Weiter behauptet er, dass es nur eine Liebe zwischen Mann und Frau geben kann und gleichgeschlechtliche Liebe nur von außen in die christlichen, gottgläubigen Familien hineingetragen wird. Dieses in einem Eheseminar2 an Großeltern, Eltern und zukünftige Eltern vermittelte Weltbild wirkt sich direkt auf deren eigene Kinder oder Enkelkinder und indirekt wiederum auf deren Umfeld aus.

Die Auslassungen von Herrn Latzel und die damit zum Ausdruck gebrachte Geisteshaltung evangelikaler Christen führt, wenn sie zu Ende gedacht wird, zum Glauben an die Wirksamkeit von Konversionstherapien. Wie ein jugendlicher Mensch, der schwul, lesbisch oder trans* ist und in diesem Umfeld aufwächst und eben nicht dem Weltbild seiner Eltern und Herrn Latzel entsprechen kann, es ohne Unterstützung schaffen muss seinen Weg zu gehen, ist schwer vorzustellen.

Evangelikale in Bremen

Wer nun glaubt, dass diese Äußerungen und das evangelikale Weltbild von Herrn Latzel nur in der St. Martini Gemeinde verbreitet werden und meint, dass Herr Latzel dort zugespitzt als eine Art rhetorischer Scharfrichter der evangelikalen Inquisition agiert, dem muss leider gesagt werden, dass er sich täuscht. Bremen gilt in Norddeutschland als eine Hochburg evangelikaler Christen3.

Die Evangelikalen, die unter dem Deckmantel der christlichen Nächstenliebe agieren und Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen betreiben, setzen in Wirklichkeit die von Herrn Latzel verbreiteten „theologischen Grundlagen“ in die Tat um. Sie machen dabei keinen Halt vor dem Wunsch von Eltern, ob Kinder mit diesen Glaubensvorstellungen indoktriniert werden sollen oder nicht. Missionierung ist glaubensinhärent bei Evangelikalen!

Während Herr Latzel den Christopher Street Day als Verbrecher bezeichnet hat, stellen wir uns die Frage, ob bei näherer Betrachtung der Evangelikalen und deren Schulen diese nicht eher die „Verbrecher“ sein könnten.

Ein Beispiel hierfür ist die Freie Evangelische Bekenntnisschule Bremen. Während sich die Schule nach außen als offen, auch für nicht evangelikale Menschen, präsentiert und der unbedarfte Leser deren Leitbild erst einmal als unverdächtig einstuft, sollten beim aufgeklärten Menschen bereits beim ersten Satz die Alarmglocken schrillen.

„Christliche Werte auf biblischer Grundlage“ hat im evangelikalen Sinne nichts mit dem allgemeinen Verständnis von christlicher Nächstenliebe zu tun, sondern beinhaltet genau das Weltbild und die Ablehnung, die Herr Latzel in seinem Eheseminar zum Ausdruck gebracht hat. Schüler und Schülerinnen, die diesem Weltbild nicht entsprechen, können nicht mit einem „respektvollen Miteinander“ rechnen. Sie werden vom Bekehrungseifer ihrer Lehrkräfte, Mitschüler und Mitschülerinnen belästigt und gemobbt.

Evangelikale offenbaren sich hier als das was sie sind, Fundamentalisten. Ich frage mich, ob man sie nicht sogar als evangelische Entsprechung der Taliban bezeichnen könnte? Es zeigt sich, dass diese rückwärtsgewandte Glaubensauslegung nichts fürsorgliches an sich hat. Im Hinblick auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen kann man eine evangelikale Erziehung und deren Schulen aus einem LGBTQI-Blickwinkel nur als „kollektive Kindeswohlgefährdung“ bezeichnen.

Gerade in diesen Zeiten ist es daher wichtig, dass von einem Christopher Street Day die Botschaft ausgeht „Wir sind viele!“, „Wir sind sichtbar!, „Wir kämpfen für Toleranz und Akzeptanz!“ und nicht zuletzt für alle die, die vielleicht in familiären Situationen leben, in denen ihre sexuelle Orientierung und Identität nicht akzeptiert wird, die Botschaft „Du bist nicht allein!“.

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Geschrieben von:
Webredaktion

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