Zum Freispruch von Olaf Latzel


Nun ist es also zum Freispruch vom Vorwurf der Volksverhetzung für Olaf Latzel gekommen. Nun können seine Anhänger*innen also vor ihm auf die Knie fallen und ihn loben und preisen, ihren Herren und Gott Olaf Latzel. Und er selbst kann seinem Gottkomplex huldigen. Aber genug der Blasphemie und Ironie, nun zum eigentlichen Thema.

Das Urteil des Landgerichts

Grundsätzlich ist natürlich festzustellen, dass die Frage, ob eine Volksverhetzung vorliegt, doch recht komplex ist. Es ist auch richtig, Aussagen im Zweifel zu Gunsten eines angeklagten zu werten. Und trotzdem haben die Richter aus meiner Sicht mindestens einen Punkt übersehen.

In der Urteilsbegründung folgt das Gericht der Argumentation von Latzels Anwälten. Diese sagten, dass die Aussagen im Zusammenhang mit den Angriffen auf die Martini Kirche zu sehen seien. Was aber übersehen wurde, ist die von Olaf Latzel selbst vorgenommene Einordnung seiner Aussagen zum Themenkomplex Homosexualität und „Gender“. Hier hat Olaf Latzel die rhetorische Frage gestellt, warum er vor verheirateten heterosexuellen Paaren überhaupt darüber spricht.

Die Antwort gab er sodann selbst. Es ging ihm um die Kinder und Enkelkinder der Teilnehmer. Damit ist seine Schutzbehauptung eigentlich wiederlegt und Adressaten letztendlich klar benannt. Wenn das Gericht also sagt, er habe nicht zum Hass gegen Homosexuelle angestachelt, dann stimmt das aus meiner Sicht so nicht.

Tatsächlich hat Olaf Latzel mit seinen Ausführung den Teilnehmenden und auch den Abonnent*innen seines Youtube-Kanals mit diesem Eheseminar eine Anleitung zur Kindeswohlgefährdung an die Hand gegeben. Warum das so ist werde ich in einem der folgenden Absätze noch erläutern. Es handelt sich hier also um eine „Anweisung“ an Eltern und Großeltern zum Umgang mit ihren Kindern und Enkeln. Sollten diese sich nicht als heterosexuell definieren oder nicht mit dem äußeren Anschein übereinstimmend als männlich oder weiblich. Dann ist wohl mit keiner Nachgiebigkeit zu rechnen. Auch die gerichtlich bestellten Gutachter waren alles andere als hilfreich.

Basis ist eine theologisch fragwürdige Auslegung der Bibel

Die Frage, ob es in den einschlägigen biblischen Texten tatsächlich um Homosexualität als Sünde geht, ist mehr als fragwürdig. Auf der einen Seite stützt sich der katholische Gutachter ausschließlich auf eine althergebrachte Bibelauslegung. Auf der anderen Seite kann sich die Gutachterin nicht zurückhalten, auch ihre persönlich Abneigung gegen die Auslegung der biblischen Texte durch Olaf Latzel zum Ausdruck zu bringen. Für die Gutachterin kann man dabei durchaus Verständnis haben. Es ist schließlich bekannt, dass Herr Latzel und seine Gemeinde Frauen eh nicht für voll nehmen.

Vielmehr hätte es zur Klärung der Frage, ob die Aussagen von Olaf Latzel durch die Bibel gedeckt sind, jedoch einen versierten Linguisten gebraucht, der des alten hebräisch mächtig ist. Auf dieser Basis hätte man sich dann des 3. Buch Mose 18.22 annehmen können. Was ist denn tatsächlich in den Schriften zu lesen? Hier erkennt man dann, dass die traditionelle Übersetzung so nicht wirklich funktioniert.

Einerseits wird hier die Handlung zweier Männer nicht in dieser Form in Beziehung zur Handlung zwischen Mann und Frau gesetzt, wie es die Übersetzung glaubend macht. Andererseits geht es auch um die Frage, wie denn das hebräische Wort miškevē zu übersetzen ist. Abgesehen vom 3. Buch Mose 18.22 und 20.13 kommt es nur ein weiteres Mal in der Bibel vor. Dies ist im 1. Buch Mose 49.4 und hier geht es zweifelsfrei um eine übergriffige, inzestuöse Handlung.

Darüber hinaus muss man auch noch das damalige Hierarchieverhältnis zwischen Mann und Frau in Betracht ziehen, damit sich aus dieser Vorschrift ein Sinn ableitet. Inhaltlich geht es hier also in Wirklichkeit um sowas wie sexuelle Nötigung oder das sexuelle Ausnutzen eine abhängigen Person. Eine solche Übersetzung passt, nebenbei bemerkt, auch besser in den übrigen Kontext.

Auch im 1. Buch Mose 19 findet keine Behandlung von homosexuellen Beziehungen oder Handlungen statt. Hier geht es vielmehr um Ausübung von Macht, Erniedrigung und Demütigung durch „rituelle“ Vergewaltigungen. Die dort beschrieben Handlungen waren zur damaligen Zeit auch grade im Rahmen kriegerischer Handlungen nicht unüblich. Es ging darum, die unterlegenen Kämpfer zu demütigen und zu demoralisieren. In der heutigen Zeit würden wir hier ganz klar von Kriegsverbrechen sprechen.

In der Bibel findet eine Behandlung gleichwertiger homosexueller Beziehungen dementsprechend überhaupt nicht statt! Insofern basiert die Bibelauslegung von Herrn Latzel und evangelikaler Christen auf einer schlampigen Übersetzung, nicht aber auf einer göttlichen Verkündung. Die Probleme schlechter oder falscher Übersetzungen sind der Bibelwissenschaft durchaus bekannt. Insbesondere aus diesen Erkenntnissen leiten sich Änderungen der Glaubensauslegung ab.

Diese neuen Erkenntnisse werden jedoch von vielen konservativen Christ*innen abgelehnt. Grund ist, das diese Erkenntnisse nicht mit ihrem tradierten Weltbild vereinbar sind. Menschen wie Olaf Latzel und seine Anhänger glauben darum lieber an eine fehlerhafte Übersetzung als an das offenbarte Wort Gottes. Grade im protestantisch lutherischen Christentum geht es aber darum neuen Erkenntnissen offen gegenüber zu stehen und keinen Dogmen anzuhängen. Und als hätte Lukas es geahnt, kann man zur Frage der Glaubensauslegung hier auf Lukas 7. 31-34 verweisen.

Olaf Latzel in der Nachfolge Jesus oder doch eher in der von Herodes?

Um es gleich vorwegzunehmen, natürlich hat Olaf Latzel keinen direkten Befehl zum Kindermord gegeben und ist auch kein eigenhändiger Kindermörder. Aber seine Glaubensauslegung und seine Art der Verkündung haben Auswirkungen. Diese Auswirkungen lassen sich nicht mit dem eigenen Anspruch, in der Nachfolge Jesus zu stehen, vereinbaren!

Unabhängig von der scheinheilig angeführten Unterscheidung zwischen Sünde und Sünder, bleibt das, was Olaf Latzel verkündet, eine verwerfliche und menschenverachtende Bibel-Fehlinterpretation. Wie bereits erwähnt hat Olaf Latzel seine Ausführungen ja direkt an Eltern und Großeltern adressiert mit Bezug auf deren Kinder und Enkel. Wer glaubt, dass es für ein Kind, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen einen Unterschied macht, ob er selbst als Sünder oder nur seine Empfindungen oder Handlungen als Sünde abgewertet werden, der irrt. Ein solches theoretisches Konstrukt lässt sich vielleicht noch in einem universitären Diskurs ohne eigenen Betroffenheit aufrechterhalten, nicht aber für diejenigen, die durch diese abstruse Haarspalterei getroffen werden.

Warum habe ich also in dieser Überschrift Jesus und Herodes gegenübergestellt? Den Sohn Gottes mit einem Kindermörder? Es geht mir darum, die Folgen solcher Äußerungen zu verdeutlichen. Einerseits führen diese Äußerungen dazu, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene Ablehnung erfahren. Wenn sie im Hinblick auf sexuelle Orientierung und Identität nicht den Vorstellungen ihrer Familien entsprechen, hat das Folgen für sie. Sie werden zu Opfern übergriffiger Sprüche, von Mobbing oder körperlicher Gewalt. Auf der anderen Seite werden diejenigen, die glauben andere bekehren zu müssen, zu Tätern durch ebendiese Aussagen und Handlungen.

Grade im Familienkreis entstehen bereits große Gefahren durch eine solch demagogische Wortwahl oder alleine aus der Zustimmung zu den von Herrn Latzel gesagten Worten. Studien des Trevor Project in Amerika belegen, das die religiös begründete Ablehnung von Homosexualität zu einer Verdoppelung suizidaler Absichten und Handlungen führt. Weitere Studien zeigen, dass aber bereits eine unterstützende und wertschätzende Person das Suizidrisiko um 40% reduziert. Beide Angaben sind ausgehend vom Durchschnitt. Wenn man nun bedenkt, dass nicht heterosexuelle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene schon ein gut 3-fach höheres Suizidrisiko gegenüber ihren Altersgenossen haben, ergibt sich folgendes Bild.

Die Folgen, die Herr Latzel als Multiplikator dieser Ablehnung und seine Glaubensbrüder und -schwestern produzieren, führen dazu, dass junge „queere“ Menschen in diesem Umfeld statistisch ein ca. 12 mal höheres Risiko für suizidale Absichten oder Handlungen haben, als in einem wertschätzenden Umfeld, verglichen mit ihren nicht „queeren“ Altersgenossen. Von anderen schwerwiegenden psychischen Folgen ganz zu schweigen.

Insofern liegen die Folgen für „queere“ junge Menschen wohl näher bei den Handlungen von Herodes als bei denen von Jesus. Wie man sich vor diesem Hintergrund in der Nachfolge Jesu sehen kann, ist mir jedenfalls nicht begreiflich.

Homosexualität und Genderideologie von außen in die Gemeinde getragen?

Nun hat Herr Latzel in seinem Eheseminar auch dargestellt, dass Dinge wie Homosexualität und Genderthemen von außen in die Gemeinde getragen würden und es sich davor zu schützen gelte. In seiner Glaubensüberzeugung gibt es mit Verweis auf die göttliche Ordnung, sprich „Naturgesetze“ erstmal nur Mann und Frau und Heterosexualität. Das Gemeindemitglieder dann doch von diesem „Naturgesetz“ abweichen sei also die Folge von Propaganda der “Homo-Lobby”.

An dieser Stelle ein kleiner privater Einschub: Ich, männlich, bin in der zweiten Hälfte der 70er Jahre geboren und in einer kleinen ländlichen Gemeinde „behütet“ aufgewachsen. In meiner Umgebung gab es keine Schwulen, Sexualkunde nur in heterosexueller Ausgestaltung und auch sonst war ich nur von glücklich verheirateten heterosexuellen Eltern, Großeltern, etc. umgeben. Ich bin getauft und wurde konfirmiert. Also weit und breit keine Homo-Lobby mit ihrer Propaganda. Schwul bin ich trotzdem. Und rückblickend fand ich bereits in der Grundschule die Jungs attraktiver und anziehender als die Mädchen. Ich konnte es damals nur nicht sofort benennen oder einordnen.

Tatsächlich muss man feststellen, dass die sexuelle Orientierung bereits bei Geburt festgelegt ist. Erziehung oder Umfeld haben darauf keinen Einfluss. Der Verweis auf eine angeblich naturgesetzlich gegebene Heterosexualität und Verführung zur Homosexualität wurde zuletzt in der Zeit des Nationalsozialismus stark propagiert. Hier brauchte es einfach eine Erklärung, warum es denn auch in der reinen, überlegenen Herrenrasse Homosexualität gab. Letztendlich stellt das „Naturgesetz“ ja auf die angeblich objektive Betrachtung der Natur ab. Tatsächlich setzt aber die Schlussfolgerung, dass es da nur Heterosexualität gäbe, eine große Blindheit voraus. Homosexualität ist natürlich und weit verbreitet.

Das Problematische an dieser Überzeugung ist aber, dass der abstruse Glaube an diese „Naturgesetze“ zu dem Schluss führt, man könnte die sexuelle Orientierung ändern. Bekannt ist ja, dass die Martini Gemeinde vor einigen Jahren im Rahmen eines christlichen Bekehrungsevents in Bremen Menschen aus dem Bereich „Konversionstherapien“ einen Raum geben wollte. Auch dies sollte ein Warnsignal sein, im Hinblick auf die Gefahren, die für junge Menschen im Umfeld der Martini Gemeinde lauern.

Die Bibel als Gebrauchsanweisung für das Leben

Dieser Absatz ist jetzt ein bisschen off-Topic, aber das muss noch raus.

In besagtem Eheseminar hat Olaf Latzel die Bibel als Gebrauchsanweisung für das Leben beschrieben. Er hat sie mit der Gebrauchsanweisung für ein Auto verglichen. Wenn man wissen will wie das Auto funktioniert schaut man dort in die Gebrauchsanweisung. Wenn man wissen will, wie das Leben funktioniert solle man in die Bibel schauen.

Tatsächlich geht der Vergleich aber so:

Die Bibel als Gebrauchsanweisung für das heutige Leben im Wortlaut zu nehmen ist so, als würde man in eine 3.000 Jahre alte und 1.000 Jahre später ergänzte Gebrauchsanweisung für einen Ochsenkarren schauen, um ein fabrikneues Auto zu verstehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gebrauchsanweisung zur Zeit ihrer Entstehung teilweise in aramäisch, hebräisch und griechisch verfasst wurde und später dann übersetzt wurde.

Im Bereich des Verbraucherschutzes gibt es den sogenannten „Ikea-Paragraphen“. Der sagt aus, dass wenn die Gebrauchsanweisung mangelhaft ist, das ganze Produkt mangelhaft ist. Vielleicht wäre das die viel passendere juristische Grundlage, die Anwendbarkeit der Bibel auf die heutigen Fragen des Lebens zu beurteilen.

Geschrieben von:
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